Eine Antwort an Herrn Shijô Kingo

Störende Sorgen sind untrennbar von Erleuchtung

(jap. bonnô sôku bodai)

Goshô Shimpen, Seite 597–599

Der zweite Tag im fünften Monat der Regentschaft von Bun’ei (1273)

 im Alter von 51 Jahren

Ich muß Ihnen hiermit meinen innigen Dank aussprechen für Ihren Besuch, Ihre Gaben und Ihre Erkundigungen über die wiederholte Bedrängnis, in die ich geraten war. In meiner Einlassung als Praktizierender des Sutra der Dharmablume betrachte ich diese Nöte nicht als etwas, dessentwegen man beunruhigt sein müßte. Wie viele Male man auch eine Lebenszeit empfängt, genauso viele Tode muß man sterben, doch scheint es kaum glaubhaft, daß ich eine Lebenszeit so reich an Lohn und Erfüllung wie diese empfangen habe. Auch frage ich mich, wären da nicht all diese Widrigkeiten, ob ich dann womöglich noch im Kreislauf von Leben und Tod der drei oder vier bösen Neigungen mich bewegte. Zu meiner tiefsten Freude habe ich mich jetzt von der Rotation des Lebens und Sterbens abgetrennt, und ich bin mir sicher, die Verwirklichung eines Buddhas zu erlangen.

Selbst Tendai and Dengyô, die auf theoretischer Ebene das vorübergehende Tor des einen, dreitausend existentielle Räume enthaltenden einen Augenblicks des Gedankens propagierten, sahen sich ebenso mit Problemen konfrontiert, die durch den Groll und die Mißgunst anderer Menschen verursacht waren. In Japan wurde diese Lehre von Dengyô an Gishin, Encho und Jikaku als auch andere weitergetragen. Der achtzehnte inthronisierte Herr der Welt der Menschheit war der Universallehrer Jie, der eine große Zahl Schüler hatte. Unter Ihnen waren Danna, Eshin, Soga und Zen’yu die hervorragendsten. Zu jener Zeit hatte sich dieses Tor zum Dharma in zwei abweichende Richtungen geteilt. Der Abt Dana übermittelte die Doktrin der Tendai-Schule, der hochrangige Mönch Eshin seine Kontemplation des Geistes. Die Beziehung zwischen Doktrin und Kontemplation war wie die zwischen Sonne und Mond. Die Doktrin selbst war nicht so tief, weil sie nicht allumfassend war; die Kontemplation des Geistes ging tiefer. Das Tor zum Dharma, das Dana lehrte, war so ausgedehnt, daß es oberflächlich wurde, das Tor, das Eshin lehrte, war beschränkt aber tiefgründig. Obwohl das jetzt von Nichiren propagierte Tor zum Dharma beschränkt zu sein scheint, ist es vollkommen unermeßlich. Der Grund hierfür ist, daß es die Dharma-Tore, die von Tendai und Dengyô weit verbreitet wurden, um diese eine Schicht tiefer durchdringt, weil es mit den drei esoterischen Dharmas des Kapitels der Lebensdauer des ursprünglichen Tores befaßt ist. Das Rezitieren der sieben Ideogramme für Nam myôhô renge kyô mag begrenzt erscheinen, doch begründet es sich darauf, daß es sich um den Lehrer und ein Beispiel für all die Buddhas der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft handelt, den Lehrer und das Leitbild für all die Bodhisattwas der zehn Richtungen und den Kompaß für alle fühlenden Wesen zur Erlangung des Weges, ein Buddha zu werden; es ist unergründlich.

Im Sutra heißt es, „Die Weisheit und Erkenntnis all der Buddhas ist unendlich tiefgründig und unermeßlich.” In diesem Sutra-Text bedeutet der Ausdruck „all die Buddhas“ alle Buddhas der zehn Richtungen und der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft; eingeschlossen hierin sind der Tathâgata des Universalen Sonnenlichtes (Dainichi Nyorai) der Schule der Wahren Worte (Shingon), der Buddha des Grenzenlosen Lichtes (Amida) der Schule des Reinen Landes (Jodo) als auch all die Buddhas und Bodhisattwas jeder einzelnen Schule und deren Sutras, ebenso all die Buddhas der Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart im allgemeinen und sogar der Shakyamuni unserer gegenwärtigen Zeit. Als nächstes kommen wir zu „Weisheit und Erkenntnis“, und wenn wir fragen, was diese Weisheit und Erkenntnis wirklich ist, dann ist es die konkrete Verwirklichung der zehn Soheiten des wahren Aspektes als grundlegende Substanz des Dharma. Was ist nun die grundlegende Substanz des Dharma? Es ist Nam myôhô renge kyô, die Weihung und Begründung des eigenen Lebens auf das Sutra der Lotosblume der Allheit des Dharma. Dies wird erläutert als das Sutra der Lotosblume der Allheit des Dharma, welches die grundlegend existierende und zugrundeliegende Eigentlichkeit seines wahren Aspektes ist. Auch wird das, worauf wir uns als den wahren Aspekt aller Dharmas beziehen, durch die beiden Buddhas Shakyamuni and Tahô verstanden, die Seite an Seite in dem Kostbaren Stupa sitzen. In Tahô sind alle Dharmas zusammengefaßt, und ihr wahrer Aspekt wird durch Shakyamuni repräsentiert. Dies sind die beiden Dharmas des objektiven Bereichs des Buddhas und seines subjektiven Einblicks, diesen verstehen zu können. Tahô steht für den Bereich der Objektivität und Shakyamuni ist die Weisheit, die diesen durchdringt. Obwohl Objektivität und Subjektivität eine Dualität sind, ist die Nichtdualität von Objektivität und Subjektivität das innere Zeugnis des Erleuchteten. Bei diesen Toren zu den Dharmas handelt es sich um zutiefst ernste und umfassende Angelegenheiten. Auf sie wird Bezug genommen als die Nichtgetrenntheit unserer störenden Sorgen von unserer innewohnenden Erleuchtung oder als die Nichtgetrenntheit des Zyklus des Lebens und Sterbens von der Universalität des Nirwana. In der Tat ist für jene Männer und Frauen, die Nam myôhô renge kyô rezitieren, selbst bei ihrer sexuellen Vereinigung, all das, was in ihrem Geist abläuft, auf keine Weise getrennt von ihrer innewohnenden Erleuchtung, und ihr Zyklus von Leben und Tod ist ungetrennt vom endgültig unveränderlichen Nichtsein des Nirwana. Außerhalb der Bewußtwerdung der Tatsache, daß die tatsächliche grundlegende Substanz von Leben und Tod weder ins Leben gerufen wird noch zu existieren aufhört, kann es keinen anderen vom Nirwana getrennten Zyklus von Leben und Sterben geben. Im Sutra über Fugen heißt es, „Ohne ihre störenden Sorgen zu unterbinden oder sich von den fünf Begierden zu befreien (die durch Form, Klang, Geruch, Geschmack und Berühren hervorgerufen werden), waren sie in der Lage, ihre Sinne zu reinigen und all ihre Vergehen auszumerzen.“ Auch heißt es im Ganzheitlichen Ablassen von störenden Sorgen zur ungetrübten Schau, „All die Mühsal und der Staub unserer Nichterleuchtung ist im gleichen Augenblick untrennbar von unserer Erleuchtung, die Zyklen des Lebens und Sterbens sind gleichzeitig untrennbar vom endgültig unveränderlichen Nichtsein des Nirwana.“ Im Kapitel über die Lebensdauer dann finden wir „Was in meinen Gedanken gegenwärtig ist, geht darum, wie ich fühlende Wesen zum Einschlagen des absoluten Pfades bewegen und sie schnell die Gewahrwerdung ihrer selbst als Buddha erreichen lassen kann.“ Wieder haben wir es mit der Feststellung zu tun, „Das Wesen der Erscheinung der Bereiche der Existenz ist grundlegendend ewig“. Solches muß die Bedeutung dieser Zitate sein. Somit gibt es keine andere Existenz abseits des Dharma, welches nur Nam myôhô renge kyô sein kann, die Weihung des eigenen Lebens der Raum-Zeit der Gleichzeitigkeit von Ursache und Wirkung der Allheit des Dharma.

In der Vergangenheit benutzte ich dieses wunderbar vollkommene und uneingeschränkt hochzuachtende Sutra der Dharmablume, um es unter mein Knie zu schieben, oder ich sah finsteren Blickes und ohne den geringsten Glauben daran auf es herab. Auch überzog ich auf die eine oder andere Weise jeden mit boshaftem Spott, der andere Menschen dadurch erbaute, daß er sie das Sutra der Dharmablume lehrte, damit das Schicksal des Dharma in die Zukunft überliefert werde. Ich suchte Menschen dazu zu bringen, in ihrem derzeitigen Leben von diesem Sutra zu lassen, da es bei weitem zu schwierig wäre, und sie statt dessen zum Annehmen einer Lehre Amida-Buddhas zu bewegen, die mehr ihrem gegenwärtigen Bedürfnis entspräche, im unbefleckten Terrain wiedergeboren zu werden, in dem sie besser zum Studium der Dharmablume gerüstet wären. Diese zahllosen Verunglimpfungen und Herabsetzungen sind es, daß ich, Nichiren, in diesem Leben mit allen Arten großer Entbehrungen konfrontiert werde. Wegen meines Degradierens dieser unübertroffenen Krönung all der Sutras werde ich gedemütigt und finde kein Gehör. Im Kapitel über Metaphern und Gleichnisse wird gelehrt, „Durch das Verleumden der Dharmablume in vergangenen Lebensexistenzen, werden sie, obwohl wir freundschaftliche Beziehungen zu anderen Menschen knüpfen möchten, ihm nicht wohlgesonnen sein und sich von ihm fernhalten“. Nichtsdestotrotz sind auch Sie ein Ausübender des Sutra der Dharmablume und infolgedessen ebenso auf große Schwierigkeiten gestoßen, aber selbst unter diesen Umständen kamen Sie Nichiren zu Hilfe. Im Text des Kapitels über den Lehrer des Dharma heißt es unmißverständlich, „Ich werde Buddhas und devas in Gestalt von Menschen entsenden und ebenso die vier Versammlungen von Mönchen und Nonnen mit männlichen und weiblichen Laiengläubigen, so daß sie seiner Erläuterung des Dharma lauschen können.“ Wenn diese Bezugnahme auf Laiengläubige nicht auf Sie zutrifft, auf wen sollte sie verweisen? Als Sie das Dharma vernahmen, akzeptierten Sie es ohne die geringste Aufsässigkeit. Wie wunderbar, wie unvorstellbar und unbeschreiblich!!

Mithin haben Sie keinen Zweifel an Nichiren, daß er der Lehrer des Dharma des Sutra der Dharmablume ist, und so will es denn scheinen, daß ich „der Gesandte des Tathâgata“ bin und auch die Person, die in ihrer Ausübung die „Angelegenheiten des Tathâgata verrichtet“. Nichiren hat annähernd überall die fünf Ideogramme des Themas und Titels verbreitet, die von Bodhisattwa Jôgyô zu der Zeit überliefert wurden, als die Buddhas Shakyamuni and Tahô Seite an Seite in dem Kostbaren Stupa saßen. War dies dann nicht die Betrauung Bodhisattwa Jôgyôs? Auch Sie als Anhänger Nichirens und Ausübender der Dharmablume sprechen darüber zu jedermann. Wie kann es sich hierbei nicht um das Zirkulieren der Übertragung des Dharma handeln? Halten Sie fest an Ihrem Geist des Glaubens an das Sutra der Dharmablume. Wenn Sie beim Schlagen des Feuersteins aufgeben im Mühen um Entfachen des Zunders, dann erhalten sie kein Feuer. Bieten Sie unbezwingbare und überströmende Stärke im Glauben auf. Shijô Kingo muß bei allen Menschen, hochgestellten und denen niederen Ranges, bei denen in Kamakura und ebenso allen fühlenden Wesen in Japan, Ansehen erlangen als der Shijô Kingo der Schule der Dharmablume. Selbst ein schlechter Ruf spricht sich herum, warum sollte dies bei einem guten nicht ebenso sein? Warum dann nicht um des Sutra der Dharmablume willen? Sie müssen ihrer Frau achtsam vom Zweck all dessen berichten. Sie müssen so aufeinander abgestimmt sein wie die Sonne und der Mond oder die Augen und die Flügel eines Vogels. Wie kann ein Weg zur Hölle führen, wenn eine Sonne und ein Mond zugegen sind? Sie dürfen keinen Zweifel hegen, daß mit zwei Augen Sie in der Lage sind, auf die Antlitze der drei Buddhas Shakyamuni, Tahô und all der Buddha-Emanationen der zehn Richtungen zu blicken. Mit einem Paar Flügel können Sie in einem zeitlosen Augenblick zu dem kostbaren Augenblick der Stille und des Lichtes fliegen.

Ein andermal werde ich ausführlicher darüber sprechen.

Mit äußerstem Respekt, Ehrerbietung und Hochachtung. Der zweite Tag im fünften Monat.

Nichiren (formelle Unterschrift)

Eine Antwort an Herrn Shijô Kingo